Wer bin ich?

Ein Vorwort

Hier möchte ich schildern, wie ich zu den Zeugen Jehovas gekommen bin und warum wir diese Gemeinschaft letztlich wieder verlassen haben. Es handelt sich um eine perönliche Beschreibung und ich stütze mich dabei natürlich nicht — im Gegensatz zum Rest dieser Website — auf die Bibel oder die Literatur der Zeugen Jehovas. Es sind auch Gedanken dabei, die ein guter Zeuge nicht lesen darf. Das sollte Dir bewusst sein, falls Du ein Zeuge Jehovas bist und hier weiterlesen möchtest.

Kleine Vorgeschichte

Ich wurde 1967 geboren. Meine Eltern waren katholisch und so wurde auch ich in diesem Glauben erzogen. Das hieß Religionsunterricht, Kommunion, Firmung ... In die Kirche ging es allerdings nur sehr selten. Eigentlich nur, wenn wir meine Großeltern besucht hatten. Mit 20 Jahren bin ich daheim ausgezogen und hatte das Gefühl, dass Glauben mehr sein musste als das, was ich von der katholischen Kirche her kannte und so war ich irgendwie auf der Suche.

Kontakte zu Zeugen Jehovas und Taufe

Meine ersten Kontakte zu Zeugen Jehovas hatte ich in der 5. Klasse. Ein Mitschüler von mir war bei den Zeugen dabei. Die hatten keinen Fernseher und keine Zeitung daheim. Ein wenig komisch, aber sonst hatten wir nicht viel miteinander zu tun. Dann hatte ich auch als Jugendlicher schon Gespräche mit Zeugen Jehovas an der Haustüre. Ich fand es interessant, da sie mir auch meine Meinung zu Gott und zur Schöpfung bestätigt hatten: Die Schöpfung ist zu komplex, um durch Zufall enstanden zu sein. Es muss einen Schöpfer gegeben haben.
Irgendwann (geschätzt 1989) kamen dann wieder Zeugen Jehovas zu mir an die Haustüre — zu dem Zeitpunkt hatte ich dann schon eine eigene kleine Wohnung — und es ergab sich ein interessantes Gespräch. Eine Woche später waren sie wieder da und wir konnten das Gespräch fortsetzen. Letztlich wurden daraus regelmäßige Besuche und wir begannen bald schon ein Studium mit dem Paradies-Buch („Du kannst für immer im Paradies auf Erden leben“). Im Laufe der Gespräche wurde mir die Bibel und natürlich darauf gestützt auch die Lehren der Zeugen Jehovas näher gebracht. Nebenbei wurde noch eine kleine Broschüre betrachtet, die einem die Organisation der Zeugen erklärt hat. Letztlich war ich von der Bibel so überzeugt, dass ich mich 1993 taufen ließ. Bei der Taufe habe ich dann übrigens auch wieder den Mitschüler aus der 5. Klasse getroffen. Das war für uns beide ein freudiges Wiedersehen. Damals hätte ich auch schon erkennen können, dass die Welt der Zeugen Jehovas etwas kleiner ist. Das kann aber auch schön sein, weil man immer wieder Bekannte trifft oder gemeinsame Bekannte hat.
1996 wurde ich dann Dienstamtgehilfe und zwei Jahre später hatte ich meinen ersten öffentlichen Vortrag. In der Versammlung wurde ich natürlich mehr und mehr eingespannt und bekam zahlreiche Aufgaben. Ich wurde auch in andere Versammlungen zum Vortrag eingeladen, so dass ich bei uns im Kreis und auch in benachbarten Kreisen unterwegs war.

Ehe

2002 habe ich meine spätere Frau kennen gelernt, eine überzeugte Zeugin Jehovas. Ein Jahr später haben wir geheiratet. Wir waren ein aktiver Teil der Versammlung und hatten viele Kontakte. Das Buchstudium wurde auch bald bei uns durchgeführt, nachdem unser Sohn geboren wurde und es für uns eine Erleichterung war, nicht an noch einem Abend mit dem Baby außer Haus gehen zu müssen. Wir haben zu uns auch ein paar Mal Brüder zum gemeinsamen Singen von Königreichsmelodien und geselligen Beisammensein eingeladen. Es waren schöne Zeiten mit unseren Brüdern.

Einstellung zur Organisation und erste Zweifel

Organisation

Die Organisation war für mich eigentlich immer nur ein notwendiges Beiwerk um das Predigtwerk, das Schulungswerk und die Versammlungen zu organisieren. Die „Leitende Körperschaft“ war nur im Hintergrund vorhanden, Namen kannte ich keine und sie waren mir auch nie wichtig. Beim Tod von Frederick Franz (1992) hatte ich den ersten Namem kennengelernt, danach lange Zeit keinen mehr wirklich wahrgenommen. Für uns standen Gott und die Bibel im Mittelpunkt, nicht die Organisation, die ich nur als Werkzeug sah.
Mit der Einführung der Website jw.org und dem späteren Erscheinen der Broadcasting-Videos ist die Leitende Körperschaft immer mehr in den Vordergrund gerückt. Dann auf jedem Königreichssaal das jw .org-Logo. Das hat schon irgendwie nach Filialen einer Firma ausgesehen und nicht nach einem religiösen Gebäude. Von den Brüdern der Leitenden Körperschaft hatte ich auch erwartet, dass sie mich mit ihren Ansprachen wirklich vom Hocker reißen, dass man die Nähe zu Gott förmlich spüren kann, ja dass sie mitreißend und voller Überzeugung von der Bibel sprechen würden. Schließlich waren sie von Jehova selbst mit heiligem Geist gesalbt und nannten sich „Brüder Christi“. Aber hier wurde ich sehr enttäuscht. Wir hatten viele Redner, die unsere Versammlung besucht hatten oder auch manche in unserer eigenen Versammlung, aus denen deutlich mehr biblische Überzeugung gesprochen hat, als sie bei der Leitenden Körperschaft zu sehen und zu hören war.
Von den monatlichen Broadcasting-Videos hatte ich mir die ersten ein oder zwei angesehen und dann festgestellt, dass das nichts für mich ist. Die Begeisterung, die andere in der Versammlung dafür hatten, konnte ich nicht teilen. Meine Frau hatte sich diese Videos regelmäßig angesehen und sich mehr und mehr darüber aufgeregt, was da erzählt wurde.

Die Zweifel wachsen

Umgang mit Kindesmissbrauch

Wir waren zum Glück vom Thema Kindesmissbrauch nie direkt betroffen, aber der Umgang mit Kindesmissbrauch in der Organisation der Zeugen Jehovas, ist zunächst meiner Frau aufgestoßen. Es ging nicht so sehr um den Umstand, dass dies bei den Zeugen Jehovas vorgekommen ist. So etwas kommt leider in vielen Gemeinschaften vor — egal ob Kirchen oder Sportvereine. Warum sollten die Zeugen Jehovas hier so viel besser sein?
Das Problem war mehr das Leugnen des Ganzen durch die Organisation. „So etwas gibt es bei uns nicht.“ Ich kann mich an einen Ältesten erinnern, der bei dem Thema über die böse falsche Religion hergezogen hat und die übel es dort ist. Aber in den Reihen der Zeugen Jehovas gäbe es so etwas zum Glück nicht. Irgendwann war mal von Wölfen die Rede, die von außen in die Versammlungen eingedrungen sind und die vertraute Gemeinschaft nutzen. Diese würden so etwas machen. Nun war uns zumindest ein Fall persönlich bekannt, bei dem ein Ältester sich an seiner eigenen Tochter vergangen hatte. Doch er wurde von seinen Mitältesten gedeckt. Es konnte ja auch nicht sein, dass in der „reinen Versammlung des Volkes Gottes“ so etwas Schändliches passieren würde. Das durfte nicht vor Gericht gebracht werden, weil es Schmutz auf den Namen Jehovas bringen würde. Deswegen gab es zahlreiche Gerichtsverfahren, beispielsweise in Australien (Süddeutsche Zeitung) oder den Niederlanden (Tagesschau), wo die Zeugen Jehovas zu hohen Strafzahlungen verurteilt wurden, weil sie die Täter gedeckt oder beweisende Unterlagen vernichtet hatten. Auch die Zwei-Zeugen-Regelung bei Kindesmissbrauch dient wohl eher dem Täter- als dem Opferschutz, wenn ein Missbrauch von einem zweiten Zeugen bestätigt werden muss. (Siehe auch Tagesschau: Vertuschter Missbrauch bei Zeugen Jehovas?) Wer sollte bei einem solchen Missbrauch schon dabei sein? Der Täter hat natürlich kein Interesse daran, dass es Zeugen gibt.
Das sollte wirklich Gottes Organisation sein? Für meine Frau war das der Punkt, an dem sie angefangen hat, mehr nachzulesen und nachzuforschen. Immer wieder hat sie auch mir Dinge erzählt, die sie im Internet gefunden hatte. Ich habe das Ganze erst einmal abgewiesen. Sie solle nicht alles glauben, was sie im Internet liest, sagte ich ihr. Da werden auch viele Unwahrheiten berichtet, meinte ich. Aber die Beweise mehrten sich und während ich die Organisation anfangs noch verteidigt hatte, gingen mir so nach und nach die Argumente aus, nachdem ich auch selbst Berichte oder Aufzeichnungen von Gerichten zu diesem Thema gefunden hatte, die aus für mich glaubwürdigen Quellen stammten.

Aufgaben und Besprechungen

Angesichts dieser Umstände ist es mir immer schwerer gefallen, die Organisation in Aufgaben positiv zu erwähnen. Es war immer wenn ein neues Programm mit den monatlichen Aufgaben herauskam die Frage, welche Aufgaben ich zugeteilt bekommen hatte. Ich war als Dienstamtgehilfe ganz gut eingespannt. Irgendwie kam ich immer wieder an den Lobpreisungen für die Organisation und den Sklaven vorbei. Einmal durch einen Aufgabentausch, mehrfach auch dadurch, dass ich die Formulierungen im Arbeitsheft oder anderen Quellen nicht übernommen habe. Beim Wachtturm-Lesen habe ich gerne gut betont (zumindest habe ich es versucht). Einmal waren aber ein oder zwei Sätze in dem Text, den ich lesen sollte, drin, bei denen es um den Sklaven oder die Organisation ging (ich weiß es nicht mehr genau). Ich habe auch das gelesen, aber komplett ohne Modulation. Aber die Sorge war da, dass ich irgendwann ein Thema bekommen würde, wo mir das nicht mehr gelingen würde. Hinter Themen, die zur Stärkung des Glaubens an Jehova und Jesus dienten, konnte ich problemlos stehen und habe diese auch gerne abgehalten, um meine Brüder und Schwestern zu ermuntern. Aber den „Treuen und verständigen Sklaven“ wie sich die Leitung der Zeugen Jehovas unter Berufung auf Matthäus 24:45 nennt, den wollte ich nicht in den Vordergrund stellen.
Der Umstand, dass wir in dieser Zeit bedingt durch die Corona-Pandemie keinen Predigtdienst mehr ausgeführt haben, hat diese Einstellung auch im Dienst erleichtert. Aber auch schon davor hatte ich im Dienst mehr und mehr versucht, die Bibel in den Vordergrund zu stellen und nicht mehr die Literatur oder die Videos der Organisation. Gerne wollte ich den Menschen die Bibel näher bringen, aber nicht die Organisation der Zeugen Jehovas.
In der Pandemie-Zeit hielten wir auch unsere Versammlungen nicht mehr im Königreichssaal ab, sondern kamen über das Videokonferenzsystem Zoom zusammen. Anfangs waren meine Frau und ich auch noch eifrig bei Besprechungen dabei, irgenwann hat meine Frau keine Kommentare mehr in der Versammlung gegeben, später dann auch ich nicht mehr. Eigene Aufgaben hatte ich aber immer noch gehalten.
Zu dieser Zeit wurde auch mit der Besprechung des Hesekiel-Buches bekommen und ich bemerkte, wie wirr die Interpretationen der Prophezeiungen waren. Fast wöchentlich war von neuem Verständnis die Rede. Das waren dann immer wieder die Punkte, wo ich geistig abgeschalten habe. Ähnlich ging es schon vor Jahrzehnten mit dem Offenbarungsbuch, das — wenn ich mich recht erinnere — dreimal im Buchstudium besprochen wurde und in dem immer wieder neues Licht durch Korrekturen eingeklebt worden war. Wie wenig „Licht“ der Sklave hatte, war mir schon vor Jahren bei den verschiedenen Deutungen der Generation aus Matthäus 24 aufgefallen, die irgendwann einfach nur noch lächerlich waren, weil sie mehrfach korrigiert wurden, nachdem die Realität die alte Deutung als falsch offenbart hatte. Die angebliche göttliche Leitung des „Sklaven“ war ganz offensichtlich nicht vorhanden und nie vorhanden gewesen.

Die Brüder vor Ort

Während ich mich vom „Sklaven“ immer mehr distanziert habe, waren mir die Brüder vor Ort stets wichtig geblieben. Sie im Glauben zu ermuntern und den Glauben an Jehova, Jesus und die Bibel zu stärken, war immer mein Wunsch. Wir verstanden uns auch gut mit diesen Brüdern. Allerdings wurden die Kontakte in der Zeit von Corona fast nur auf die Versammlung (Videokonferenz) oder den Predigdienst (Gemeinsam in einer Videokonferenz Briefe schreiben) reduziert. Die persönlichen Kontakte waren kaum noch vorhanden. Dennoch hatten die Menschen, mit denen ich die letzten Jahrzehnte verbracht hatte, natürlich eine große Bedeutung für mich.

Der Ausstieg

Gespräch mit Ältesten

Wenn ich Aufgaben hatte oder im Videokonferenzsystem Zoom als Host (technisch verantwortlich) eingeteilt war, hatte ich mich an meinem Arbeits-PC angemeldet, während meine Frau im Wohnzimmer am Notebook saß. Das kam häufiger vor und meine Frau wollte immer weniger in der Versammlung dabei sein. Zunächst hatte sie in der Videokonferenz immer wieder mal die Kamera ausgeschalten, bis sie die Kamera gar nicht mehr aktiviert hat und auch nicht mehr vor dem Notebook saß. Das war auch anderen in der Versammlung aufgefallen und so kam, was kommen musste: Die Ältesten wollten ein Gespräch mit uns. Der Gedanke dabei war sicherlich, mich im Glauben zu stärken und meine Frau wieder auf den Weg Jehovas und seiner Organisation zu bringen. Aber es kam anders.
Wir hatten die Themen angesprochen, die uns besonders aufgestoßen waren — der Umgang mit Kindesmissbrauch, die Veränderungen an der Bibel (z.B. das Einsetzen des Namens „Jehova“ in den christlich griechischen Schriften), die unterordnete Rolle Jesu in der Lehre der Zeugen Jehovas und manches mehr.
Die Ältesten haben zugehört, immer wieder mal die Organisation und deren Lehren verteidigt. Doch wirkliche Antworten auf unsere Zweifel und Fragen hatten sie nicht. Schließlich habe ich auch meine Bedenken gegenüber dem „Sklaven“ und meine Schwierigkeiten mit diesem Thema bei Aufgaben geäußert. Einer der Ältesten hatte dann gefragt, was das für mich bedeuten würde und ob er mich bei Aufgaben raus nehmen sollte. Hier musste ich kurz überlegen. Doch dann sagte ich das, was unser Leben verändern sollte: „Es bedeutet für mich, die Organisation zu verlassen.“ Von meiner Frau wusste ich, dass sie ebenso dachte. Sie hatte schon länger gesagt, wenn es wieder Versammlungen im Königreichssaal geben würde, wäre sie nicht mehr dabei. Sie stimmte meiner Aussage zu und meinte: „Das sehe ich auch so.“
Es wurde noch ein schmerzlicher Abschied für uns alle. Wir wussten, was ein Ausstieg bei Zeugen Jehovas bedeuten würde und so flossen auf beiden Seiten Tränen. Es galt noch diverse Formalien zu erledigen. Ein Ausstieg musste durch einen Brief schriftlich eingereicht werden (zumindest sagte man uns das, andere Wege unter findest Du in der Rubrik Austritt) und ich hatte auch noch diverse Unterlagen (ich war Vortragsplaner und hatte auch mit der Technik in der Versammlung zu tun), die ich dann weitergeleitet habe. Dann noch den Saalschlüssel abgeben…
Ich wollte den Abgang sauber gestalten und niemanden damit Probleme bereiten.
Schließlich war es vorbei. Rund zwei Wochen später wurde dieser Ausstieg in der Versammlung bekannt gegeben. Für viele in der Versammlung kam das überraschend und war ein Schock. Vielleicht weniger bei meiner Frau, die sich schon zuvor mehr und mehr zurückgezogen hatte. Aber ich hatte kurz zuvor noch Aufgaben gehalten und war voll dabei gewesen. Dass ich auch gehen würde, damit hatte wohl niemand gerechnet. Selbst für meine Frau kam diese Aussage im Gespräch mit den beiden Ältesten überraschend. Mir war bereits vor diesem Gespräch mehr und mehr klar geworden, dass meine Zeit bei den Zeugen nur noch ein paar Monate gehen würde. Dass dieser Schritt nun an diesem Abend erfolgen würde, kam auch für mich selbst überraschend. Was mich geritten hat, diese Worte an diesem Abend auszusprechen, weiß ich bis heute nicht. Geplant war das in dieser Form nicht von mir. Aber im Laufe des Gesprächs mit diesen für mich hilflos wirkenden Versuchen unserer Besucher, die Lehren des „Sklaven“ irgendwie zu verteidigen, war das die einzige Konsequenz gewesen, die möglich war. Meine Frau wollte sowieso raus, warum sollte ich mich also noch ein paar Monate quälen um dann nach ihr zu die Organisation zu verlassen? Den Weg gemeinsam zu gehen würde es in jedem Fall für uns leichter machen.

Konsequenzen

Gleich nach der Bekanntmachung in der Versammlung wurde meine Frau von vielen aus der Versammlung in WhatsApp gesperrt (ich nicht — ich nutze die App nicht). Andere zogen später nach. In dieser Geschwindigkeit hatten wir diese Konsequenz nicht erwartet. Aber es gab gerade in dieser Zeit auch eine passende Artikelserie im Wachtturm, wie mit Ausgeschlossenen umzugehen ist. Da bei der Bekanntmachung kein Unterschied gemacht wird zwischen denen, die freiwillig gehen (Aussteiger) und denen, die wegen eines Fehlverhaltens ausgeschlossen werden, werden auch alle gleich behandelt misshandelt.
Unseren Sohn hatte es mehr getroffen. Er fand die Versammlung zwar immer langweilig und war auch von den Themen dort nicht überzeugt, aber auch er wurde von seinen Freunden schon bald nach der Bekanntmachung gesperrt. Das hatte ihm sehr weh getan und uns überrascht, da er gar nicht getauft war (auch kein ungetaufter Verkündiger) und somit auch nicht ausgestiegen ist. Es hat uns aber diese Verblendung der Zeugen Jehovas überdeutlich vor Augen geführt. Kein Abschied, keine ermunternden Worte für ihn. Einfach gesperrt — Kontakt und Freundschaft abgeschalten. Einen dieser Freunde hatte unser Sohn später noch einmal getroffen. Sein (ehemaliger) Freund hatte ihm dabei erklärt, dass er ihn wegen seiner Eltern sperren musste.

Familie

Ich selbst war als junger Erwachsener zu den Zeugen Jehovas gekommen. Aus meiner Familie war sonst niemand dabei. Den Kontakt zu meinen Eltern habe ich auch immer aufrecht erhalten und auch ihnen war das stets wichtig gewesen. In der Verwandtschaft meiner Frau waren nur ihre Eltern dabei, die aber auch auf unsere Hilfe angewiesen waren und daher den Kontakt sogar offiziell haben durften. Wir haben also unsere Familie nicht verloren.
Aber in den Lehrvideos der Zeugen Jehovas wird ein konsequenter Abbruch des Kontakts selbst zu den eigenen Kindern eingefordert, wenn diese die Gemeinschaft verlassen. Dies sei ein Akt der Liebe zu Jehova und seinen Geboten und diene dazu einen Aussteiger wieder zurück in den Schoß der Versammlung zu führen. Ich bin mir sicher, dass viele zu den Zeugen Jehovas zurück gegangen sind, weil sie diesen Bruch mit der eigenen Familie und diese Kälte und Einsamkeit nicht mehr ausgehalten haben. Es soll auch schon zu Suizid aus genau diesen Gründen gekommen sein. Nicht umsonst bezeichnete die Organisation den Ausschluss im Awake! (Erwachet!) von 1947 (Englisch) noch als unbiblisch und als Waffe, um dann ab 1952 diese Waffe selbst einzusetzen.
Für uns war dieser Schritt, die Zeugen Jehovas zu verlassen, letztlich konsequent und alternativlos. Aber ich kann mit denen fühlen, die sich von der Organisation trennen wollen, es aber nicht schaffen, weil das bedeuten würde, die Familie und alle Freunde zu verlieren. Damit wären sie sozial komplett isoliert. So manch einer wird dann zum „U-Boot“, das noch ab und zu in der Versammlung auftaucht, um diesem Schicksal zu entgehen und so wenigstens den Kontakt zur Familie aufrecht erhalten zu können.
Allerdings sollte man — soweit man seinen Glauben nicht verloren hat — auch an die Worte Jesu denken:
Matthäus 10:37
Wer zum Vater oder zur Mutter größere Zuneigung hat als zu mir, ist meiner nicht würdig; und wer zum Sohn oder zur Tochter größere Zuneigung hat als zu mir, ist meiner nicht würdig.